Published in Westdeutsche Zeitung on September 28, 2016
By Bettina Trouwborst
Fabien Prioville stellt mit „La Suite“ eine Fortsetzung von Pina Bauschs Tanzklassiker vor.
Düsseldorf. Pina Bauschs „Café Müller“ von 1978 ist ein Klassiker der modernen Tanzgeschichte. Der französische Choreograf und Tänzer Fabien Prioville begibt sich auf Bauschs Spuren – und geht einen Schritt weiter: In „La Suite“ träumt er das Stück zu Ende. Dafür hat er den Segen und finanzielle Mittel der Pina Bausch Foundation.
Monsieur Prioville, ich finde es mutig, ein Meisterwerk wie „Café Müller“ anzupacken. Wie sind Sie darauf gekommen?
Fabien Prioville: Ich habe es sehr oft gesehen und zu Pinas Lebzeiten mehrfach darin getanzt. Wenn das Licht ausging, blieben für mich immer Fragen. Natürlich braucht „Café Müller“ keine Fortsetzung. Aber ich möchte die Geschichte der Charaktere weitererzählen. Wer das Werk gut kennt, wird Details wiedererkennen und schmunzeln.
Wer sich „La Suite“ anschaut, sollte also das Original gut kennen?
Prioville: Nein. Mein Stück steht auch für sich alleine. Ich fände es sogar interessanter, erst „La Suite“ zu sehen und dann „Café Müller“.
Fürchten Sie nicht den Vergleich?
Prioville: Nein. „La Suite“ ist ganz anders. Es ist keine theoretische oder wissenschaftliche Studie. Es ist meine ganz persönliche Sicht auf das Stück. „Café Müller“ bedarf natürlich keiner Erklärungen. Aber die Charaktere sind so verschwommen, wir wissen nicht, woher sie kommen.
Und warum sie sich so neurotisch verhalten.
Prioville: Ja, warum sie so grob zueinander sind. Was ist ihre Arbeit? Was tun sie außerhalb des Cafés? Ich finde es spannend, das Verhältnis der Menschen zueinander genauer zu betrachten.
„Ich habe das Gefühl, dass in mir etwas nicht abgeschlossen ist.“ – Fabien Prioville
„Café Müller“ ist eine zeitlose Studie über die Einsamkeit und zwanghaftes Verhalten. Wie führen Sie es formal weiter?
Prioville: Es bleibt ein zeitloses Stück. Ich erzähle die Geschichte aus der Perspektive der rothaarigen Frau und ihres Partners. Es gibt eine Szene im Original, in der Meryl Tankard – in späteren Jahren Nazareth Panadero – und Jan Minarik in Kontakt treten, um dann zusammen die Bühne zu verlassen. Hier setze ich an. Die beiden kehren zurück als die Besitzer des Cafés (lacht). Alle Charaktere treffen hier wieder aufeinander. Die Rothaarige verliert sich in Erinnerungen, bringt vieles durcheinander.
Das klingt nach Ironie.
Prioville: Ja, es ist auch Humor darin. Wir haben Gartenstühle und einen Tisch aus Plastik . . .
. . . das gute alte deutsche Tanztheater schwörte auf den schlichten Holzstuhl.
Prioville: Ja, genau. Es gibt einige Überraschungen.
Es ist Ihnen gelungen, die Pina Bausch Foundation und das Tanzhaus als Koproduzenten zu gewinnen. War es schwer, Bauschs Sohn Salomon, Vorstand der Stiftung, zu überzeugen?
Prioville: Eigentlich wollte ich ihn nur informieren. Ihm gefiel die Idee – er überlegt ja auch, wie er mit ihrem Werk umgehen soll. Als der Tanzfonds Erbe der Bundeskulturstiftung eine Finanzierung ablehnte, wollte ich schon aufgeben. Da bot Salomon Bausch mir eine Koproduktion an.
Als Sie Mitglied im Wuppertaler Ensemble waren, hat Pina Bausch für Sie Rollen von Jan Minarik, einer ihrer großen Tänzer-Darsteller der ersten Stunde, ausgesucht. Übernehmen Sie in „La Suite“ seinen Part?
Prioville: Ja. Es ist leicht für mich, denn ich habe nicht nur „Café Müller“ für ihn getanzt; auch „Nelken“, „Viktor“, „Nur Du, „O Dido“. Mit seinem Charakter, seinem leicht verächtlichen oder sarkastischen Humor fühle ich mich verbunden.
In der Originalbesetzung tanzten Pina Bausch, ihr Bühnenbildner und Lebenspartner Rolf Borzik, Malou Airaudo, Dominique Mercy, Jan Minarik und Meryl Tankard. Wie sieht Ihr Cast aus?
Prioville: Es war wie bei einem Filmprojekt: Bei der Besetzung hatte ich ganz bestimmte Tänzer-Typen vor Augen. Ich arbeite unter anderem mit Vivien Wood, der DV 8-Ikone, und Zuzana Zahradnikova vom Bayerischen Staatsballett.
Pina Bausch wählte zwei Klagelieder von Henry Purcell für das schwermütige Stück. Für welche Musik haben Sie sich entschieden?
Prioville: Ich habe einen Pianisten, einen Schlagzeuger, einen Klarinettisten, der auch Gitarre spielt, und eine Sängerin. Einen Teil der Originalmusik haben wir bearbeitet – sie klingt jetzt ganz anders (lacht). Es ist auch Jazz darin.
In „La Suite“ setzen Sie sich erneut – wie in „Soma“ und „Time for us“ – mit dem Bausch-Erbe auseinander. Lässt Sie die Vergangenheit nicht los?
Prioville: Ich hatte sie schon hinter mir gelassen, als ich die Kompanie seinerzeit verlassen habe. Ich habe Stücke gemacht über Videospiele, Smartphones, Skype. Als Pina 2009 starb, war das sehr hart, auch für mich. Es ist wie ein fernes Echo, vielleicht auch, weil meine Frau beim Tanztheater Wuppertal engagiert ist. Ich habe das Gefühl, dass in mir etwas nicht abgeschlossen ist. Vielleicht gelingt es mit „La Suite“. Es ist ein sehr persönliches Stück.